Campus GAP: Ein Glücksfall für die Region
So etwas gibt es bislang auf der ganzen Welt nicht: einen Zusammenschluss von Forschung und Lehre über das Leben im Alter, eine Pflegeschule und ein Pflegeheim auf engstem Raum, so dass Theorie und Praxis voneinander profitieren können. All dies wird als Campus Garmisch-Partenkirchen gemeinsam von der gemeinnützigen Longleif GaPa GmbH und der Technischen Universität München (TUM) auf dem knapp 30.000 Quadratmeter großen Areal neben dem Bahnhof verwirklicht. Einzelheiten dieses Projekts wurden der Öffentlichkeit nun im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Kongresshaus vorgestellt wurde. An deren Ende blieb vor allem das im Gedächtnis haften, was der Steuerberater und Rechtsanwalt Martin Hilleprandt vom Unternehmerverein Garmisch-Partenkirchen betonte: „Der Campus ist eine einmalige Chance für unseren Ort, um nach dem Tourismus ein zweites wirtschaftliches Standbein zu schaffen. Die heimische Wirtschaft profitiert davon wie von einem Konjunkturprogramm.“
Unter der Moderation von Caro Matzko vom Bayerischen Rundfunk hatte zuvor Viktor Wohlmannstetter von LongLeif GaPa den Campus vorgestellt und das dafür vorgesehene Areal als „einzigartigen Standort“ bezeichnet, weil dieser direkt neben dem Bahnhof liege, man also mit dem Zug anreisen könne, was die Verkehrsbelastung für den Ort erheblich reduzieren soll. Und: Auf dem Campus, der einen Außenposten der Technischen Universität München (TUM), eine Pflegeschule, eine Fort- und Weiterbildungsakademie sowie ein Pflegeheim vereinen und im Jahr 2027 in Betrieb gehen soll, werde es, so Wohlmannstetter, überhaupt keinen Verkehr geben, da man alle ankommenden Autos auf der nördlichen Grundstückszufahrt in eine Tiefgarage leite. Die Sorgen der skeptischen und kritischen Anwohner, dass sie in Abgasen ersticken und vor lauter Verkehrslärm nicht mehr die Beschaulichkeit auf der Terrasse genießen könnten, versuchte im Verlauf der späteren Diskussion Prof. Sami Haddadin, der Leiter des Geriatronic-Forschungszentrums, mit einem Augenzwinkern zu zerstreuen. „Studenten“, so wisse aus eigener Erfahrung, „können sich in der Regel kein Auto leisten.“ Und auch von den Mitarbeitern der neu geschaffenen Hochschule sei zu erwarten, dass sie eher mit der Bahn oder dem Fahrrad zu ihrem Arbeitsplatz gelangen, „denn“, so Haddadin, „wir zahlen nach dem Tarif des Öffentliches Dienstes“.
Andernorts macht man sich wegen der Verkehrsproblematik übrigens nicht solche Sorgen wie in Garmisch-Partenkirchen. Im Chiemgau zum Beispiel: Von dort war Dr. Birgit Seeholzer, die Geschäftsführerin der Chiemgau GmbH Wirtschaftsförderung, unter die Zugspitze gereist – und sie berichtete, dass in Traunstein in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Rosenheim gerade der Campus Chiemgau entwickelt werde. „Und das, obwohl wir noch keinen einzigen der 300 geforderten Parkplätze geschaffen haben“, lachte sie und meinte: „Das kriegen wir aber schon hin.“ Im Übrigen gebe es in Traunstein auch noch kein richtiges Campus-Gelände, gleichwohl steige die Zahl der Studenten, die sich für eine akademische Ausbildung in der landschaftlich außergewöhnlich reizvollen Provinz entscheiden, stark an. „Für unsere Region ist das ein Glücksfall, weil davon die gesamte Wirtschaft profitiert“, erklärte Seeholzer.
Dass sie diese Meinung nicht exklusiv hat, bestätigte im Rahmen der Podiumsdiskussion auch Severin Knebel. Der gebürtige Garmisch-Partenkirchner, der hier zur Schule ging und anschließend am Lehrstuhl von Sami Haddadin studierte, hat ein eigenes Start-up-Unternehmen gegründet, das sich für die Weiterentwicklung des autonomen Fahrens auf die virtuelle Abbildung jedes noch so entlegenen Ortes der Welt spezialisiert hat. Firmensitz der Aves Reality GmbH: die Mittenwalder Straße in Garmisch-Partenkirchen. Und das hat seinen Grund: „Ich bin mit meiner Firma wegen der tollen Gegend und den phantastischen Freizeitmöglichkeiten nach Hause zurückgekehrt.“ Kein Wunder, dass sich Severin Knebel begeistert von der Aussicht zeigte, dass es demnächst wohl einen Campus in seinem Heimatort geben wird. „Dieser Campus mit Spitzenforschung und einer internationalen Community passt sehr gut zu Garmisch-Partenkirchen. Er wird prägende Akzente auch für die Jugend setzen“, erklärte er.
Unternehmervertreter Hilleprandt sieht dies ähnlich: Wenn es gelinge Garmisch-Partenkirchen als einen Ort zu präsentieren, in dem viele qualifizierte Arbeitsplätze entstehen, „kann dies den Fachkräftemangel lindern“. Nicht zuletzt deshalb sieht Hilleprandt „viele Synergieeffekte zwischen dem Campus und unserer Unternehmerschaft“. Auch Gabriele Stark-Angermaier von der Caritas, deren Institution nicht nur die Pflegeschule, sondern auch die Akademie für Fort- und Weiterbildung auf dem Campus leiten wird, betonte: „Unser Ziel ist es, die auf dem Campus ausgebildeten Pflegekräfte in der Region zu halten.“ Und Sami Haddadin meinte: „Der Campus kann der Startschuss für einen komplett neuen Wirtschaftszweig in der gesamten Region sein.“
Dass alleine der TUM-Campus für Geriatronik neun Professorenstellen, rund 200 Mitarbeiter und bis zu 300 Studenten umfassen wird, ist natürlich eine besondere Herausforderung für den ohnehin schon mehr als angespannten Wohnungsmarkt in Garmisch-Partenkirchen. Darauf hatte Ex-Gemeinderat Peter Schliederer in der abschließenden Diskussion hingewiesen, als er von bis zu 700 Neubürgern sprach, die im Zuge des Campus erwartet werden müssten. Bürgermeisterin Elisabeth Koch, eine glühende Befürworterin des Campus‘, verwies hier auf eine Rechnung, die ihrer Ansicht nach mit Sicherheit aufgehen werde. Das von der Caritas betriebene Pflegeheim St. Vinzent werde aufgegeben, dessen Bewohner ziehen dann in das neu errichtete Heim auf dem Campus. „Und das gibt uns die Gelegenheit auf dem 8.000 Quadratmeter großen Grundstück des Vinzenz-Heims die dringend benötigten Wohnungen zu errichten“, erklärte Koch.
Gegrummelt und getuschelt wurde deshalb trotzdem, aus der Deckung gewagt hat sich aber keiner aus dem Kreis jener, die dem Campus kritisch gegenüberstehen. Dafür bekam Sami Haddadin reichlich Applaus, als er nach seiner Vision für das Jahr 2033 gefragt wurde. „Ich würde mich sehr freuen“, sagte er, „wenn das, was wir heute planen, dann Realität und zu einem Vorbild für andere Regionen geworden wäre.“
Diskutierten und informierten über den geplanten Campus: Moderatorin Caro Matzko, Gabriele Stark-Angermaier, Martin Hilleprandt, Severin Knebel, Dr. Birgit Seeholzer und Prof. Dr. Sami Haddadin (von links).